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„Ab in die Zukunft!“
Es ist ein gutes Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören, die etwas so Begeisterndes auf die Beine stellt wie das 75-jährige Jubiläum des Bundes, verbunden mit einem großartigen Schulfest der Wilhelm-Raabe-Schule. Lange geplant und toll organisiert, wurden die drei Tage Ende Oktober 2001 für viele Ehemalige zu einem großen Erlebnis.
„Ab in die Zukunft!“ hieß das Motto. Für einen 75-Jährigen, egal ob Musikverein oder Bund, ein erstaunlich temperamentvoller, jugendlicher und optimistischer Aufruf an alle, die dabei waren und dabei sein wollen – in der Zukunft. Sein Bestreben und Tun unter dieses Motto zu stellen, bedeutet für einen Bund Ehemaliger, großes Vertrauen in die Jugend zu setzen. Dass die Schülerinnen und Schüler der Wilhelm-Raabe-Schule bereit sind, diesen Weg mit den Ehemaligen gemeinsam zu gehen, wurde daran deutlich, wie sie dieses Fest mitgestaltet und -gefeiert haben. Die Stimmung in diesen Tagen war dem Motto entsprechend fröhlich, festlich und optimistisch. Die Veranstalter konnten rundum zufrieden sein. Die Schule durfte ein großartiges Geschenk des Bundes von bleibendem Wert in Empfang nehmen: Der Balkon ist renoviert worden – mit großem Aufwand – und wurde am ersten Tag festlich eingeweiht.
Schüler und Schülerinnen durften in vielerlei Aktionen und Veranstaltungen ihre Kreativität und ihr Können unter Beweis stellen und ernteten viel Lob. Sie waren überaus zugänglich, freundlich und hilfsbereit gegenüber uns Älteren.
Und wir Ehemaligen? Wir durften staunen und genießen. Wir konnten mal wieder Schulduft schnuppern, Erinnerungen austauschen und Rückschau halten. Das wurde besonders angeregt und erleichtert durch eine Bildergalerie, die in der Cafeteria zusammengestellt war, und durch viele Kleinigkeiten, die sich im Gebäude auch noch nach 50 Jahren nicht oder kaum verändert haben.
Eine Überraschung war für mich der Festakt am 27. vormittags in der Aula, den ich beinahe versäumt hätte, weil ich so förmliche, trockene Reden nicht mag. Aber siehe da, stattdessen erlebte ich eine (trotz angemessener Ernsthaftigkeit) lockere fröhliche Feierstunde in festlicher Atmosphäre. Die Ansprachen waren herzlich und humorvoll, die Vorträge interessant, und die von ehemaligen Schülern vorgetragenen musikalischen Einlagen waren wunderschön. Nun weiß ich, wie ein Festakt sein kann, danke!
Zum Jubiläumstreffen im Seminaris erschienen alle Ehemaligen in bester Laune und erwartungsvoller Vorfreude auf erhofftes Wiedersehen mit „alten“ Klassenkameradinnen. Der stetig anschwellende Geräuschpegel im Saal sprach Bände, die Anordnung der festlich gedeckten Tische war eine Leistung für sich, und das üppige Büfett in der Hotelhalle lockte mit delikaten Gerichten. So ließ das große Jubiläumsfest keine Wünsche offen, und jede Ehrung für die Veranstalter wurde mit Beifall bestätigt.
Der Festgottesdienst am Sonntag war für mich zugleich der Abschluss des Jubiläums. Er wurde zu Ehren unseres verehrten Musiklehrers und Kantors, Herrn Walter Rogge, in der Nicolaikirche gefeiert und hat alle Besucher sehr beeindruckt! Dadurch, dass an der festlichen Gestaltung auch wieder Schüler und Ehemalige beteiligt waren, fühlten wir uns eingebettet in eine große Gemeinschaft.
„Was vergangen, kehrt nicht wieder, aber ging es leuchtend nieder, leuchtet’s lange noch zurück.“ Auch an diesen Vers könnte man in Erinnerung an das gelungene Jubiläum denken. Aber „Ab in die Zukunft!“ gefällt mir besser.
Ich wünsche dem Bund und „meiner“ Schule weiterhin Glück, Erfolg und Zusammenhalt.
Helga Drewell, geb. Mohr
Gemeint sind der Festakt zum 75-jährigen Jubiläum unseres Bundes der Ehemaligen der Wilhelm-Raabe-Schule, der am 27. Oktober 2001 um 11 Uhr in der Aula unserer Schule stattfand, aber auch die anderen Veranstaltungen im Rahmen der mehrtägigen Feierlichkeiten, auf die schon lange vorher in unserem Mitteilungsblatt hingewiesen wurde mit den Worten unserer engagierten Vorsitzenden Frau Dr. Luise Reinhardt-Drischler: „So liegen drei tolle Tage vor uns!“
Vor der Aula bildeten sich lange Warteschlangen vor den Anwesenheitslisten. So hatte man schon Gelegenheit, die Augen schweifen zu lassen, welche Bekannten oder gar Freundinnen aus der gemeinsamen Schulzeit man wiedersehen würde. Tatsächlich traf ich etliche Klassenkameradinnen oder Schülerinnen höherer Klassen, die ich seit ca. 45 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sofort gab es freudige und angeregte Gespräche, die sich natürlich teilweise in der gemeinsamen Vergangenheit bewegten, aber sich dann bis in die Gegenwart entwickelten, denn jeder war am Lebenslauf des anderen interessiert.
Nachdem wir uns in die Liste eingetragen hatten, betraten wir die Aula, in der wir so manche festliche Stunde verbracht hatten: Morgenandachten, Balladenwettbewerbe, Theater-Aufführungen, geistliche Musik unseres Chores und des Schulorchesters, Vorträge über unsere Fahrt 1956 in die DDR unter Leitung von Frau Direktorin Hasenclever bis hin zu unserer Abitur-Entlassungsfeier.
Neugierig und interessiert warf ich einen Blick in das Programm für den Festakt, der musikalisch umrahmt wurde von der heutigen Musiklehrerin Frau Elisabeth Bahrdt, Klavier, sowie 3 ehemaligen Schülern: Benedikt Graf Bernstorff, Violine, Daniel Graf Bernstorff, Cello, sowie Friedrich von Mansberg, Tenor. – Man merkte den jungen Künstlern die Verbundenheit mit ihrer früheren Schule an, so daß dadurch gleich eine besondere familiäre Atmosphäre entstand.
Frau Dr. Scheuermann, die neue Leiterin unserer Schule, eröffnete die Rednerliste und bedankte sich bei dem Bund der Ehemaligen für die zahlreichen finanziellen Hilfen zugunsten der Schule. Besonders erwähnte sie das gerade einen Tag vorher eingeweihte großzügige Geschenk des Bundes, den Balkon vor der Aula.
Dann folgte unsere Vorsitzende Frau Dr. Reinhardt-Drischler, die die Begrüßung der zahlreichen offiziellen und der „normalen“ Gäste vornahm und gleichzeitig in netter, unaufdringlicher Weise für unseren Bund warb. – Ich bewunderte ihre souveräne Art, auch ihre teilweise lockere Wortwahl, mit der sie gar keine Distanz zu den Jüngeren aufkommen ließ. Der Bund braucht Mitglieder aus den jüngeren Jahrgängen. Ich habe den Eindruck, daß unsere Vorsitzende das Geschick hat, die Jugend anzusprechen. Bürgermeister Inselmann gratulierte als Vertreter der Stadt Lüneburg und bedankte sich ebenfalls für die nennenswerten Unterstützungsmaßnahmen unseres Bundes für die Schule, wodurch die Stadt Lüneburg etwas entlastet wurde! Es folgte die stellvertretende Landrätin Frau Schumann-Schilling, die die enge Verbindung der Wilhelm-Raabe-Schule zum Landkreis und insbesondere zum Amt Neuhaus lobend erwähnte.
Der Vorsitzende des Schulelternrates Herr Dr. Nause und die Vorsitzende der Freunde und Förderer der Wilhelm-Raabe-Schule Frau Dierstein waren ebenfalls sehr dankbar für die mannigfaltigen Unterstützungen unseres Bundes. Bis jetzt flossen insgesamt DM 115.000 zum Wohle der Schule und der Schüler für diverse Objekte wie z. B. Anschaffung von Computern oder für die Schülerbücherei, Unterstützung bei Austauschfahrten, Seminaren usw.
Den Festvortrag hielt Frau Stadtarchivarin Dr. Uta Reinhardt, die die Geschichte und Entwicklung unseres Bundes eindrucksvoll wiedergab. – Natürlich wurde der Gründerin Frau Marie Ubbelohde ausführlich gedacht, die sich über Jahrzehnte, auch in den schweren Kriegs- und Nachkriegsjahren, um den Bund der Ehemaligen sehr verdient gemacht hatte. – Da sie neuen Entwicklungen gegenüber aufgeschlossen war, gründete sie schon 1928 eine Ruderriege, aus der sich der Schülerinnen-Ruderverein (SRV) entwickelte mit dem eigenen Bootshaus am Fischerhaus.
Ich hatte „Ubbchen“ noch im Sportunterricht 1948/49 erlebt, also kurz vor ihrer Pensionierung: Sie leitete die Turnstunden im langen Rock. Autoritätsprobleme hatte sie nicht – sie war eine eindrucksvolle Persönlichkeit! Ihr großes Anliegen war, der Schule und den Schülern zu helfen, menschliche Kontakte zu finden und zu pflegen. Im Jahre 1954 zählte der Bund der Ehemaligen 1.007 Mitglieder, die höchste Zahl überhaupt in der Geschichte unseres Bundes.
Nach Frau Ubbelohde folgte Frau llse Cartellieri, die praktisch schon 1952 die Geschicke unseres Bundes als Stellvertreterin von Frau Ubbelohde lenkte. Die Amtszeit unserer zweiten langjährigen Vorsitzenden dauerte bis 1983. Danach wurde sie von Frau Dr. Luise Reinhardt-Drischler abgelöst, die dankenswerterweise bis heute unserem Bund mit großem Engagement und Einfühlungsvermögen für die Jugend vorsteht.
Nach dem niveauvollen Festvortrag dankte Frau Dr. Reinhardt-Drischler den Rednern für ihre anerkennenden Worte und überreichte ihnen Exemplare unserer Festschrift, die an die Mitglieder wegen Verzögerungen beim Druck erst später verschickt wurden.
Als Dank schenkte Frau Dierstein unserer Vorsitzenden eine große Torte in Form des Wappens unserer Schule. Dieses Kunstwerk hatte erfreulicherweise derartige Ausmaße, daß es von Frau Dr. Reinhardt-Drischler nicht allein hätte bewältigt werden können. Daher wurde es zu unserer großen Freude anschließend zum allgemeinen Verzehr im Café unseres Bundes, im früheren Musiksaal, angeboten und fand mit Kaffee und Tee großen Zuspruch. Mit zahlreichen Blumensträußen versehen stellte sich Frau Dr. Reinhardt-Drischler am Ende des Festaktes zusammen mit den verschiedenen Rednern dem eifrigen Presse-Fotografen.
Es war eine höchst eindrucksvolle und beglückende Feier, zu der die oben genannten Künstler mit Werken von Dvorak, Debussy und Schumann einen sehr erfreulichen Beitrag leisteten. – Ich darf wohl sagen, daß wir Ehemaligen stolz auf unsere Schule waren und sind. Aber ich möchte auch noch einmal erwähnen, wie großartig, souverän, aber auch locker Luise diesen Festakt „durchgezogen“ hat. Wir haben ihr viel zu verdanken! Dabei möchte ich ihre zahlreichen Helfer vom Vorstand nicht unerwähnt lassen: es war wirklich ein einsatzfreudiges, harmonisches Team, das uns diese inhaltsreichen Tage so lebendig beschert hat!
Beim anschließenden Kaffeetrinken im mit alten Fotos ausgeschmückten Musiksaal traf man dann wieder etliche Schulkameradinnen von früher, und die angeregten und interessanten Gespräche setzten sich fort. – Jugend-Bekanntschaften und -Freundschaften sind wirklich etwas Besonderes: man knüpft meistens da an, wo man vor etlichen Jahren aufgehört hat, weil man eben eine gewisse gemeinsame Basis hat, und das habe ich als sehr beglückend empfunden!
Elisabeth Tillmans geb. Scharff, Abitur 1957
Zwar habe ich als „Auswärtige“ nicht ganz die Probleme, die früher unsere Fahrschülerinnen an der Wilhelm-Raabe-Schule mit verspäteten Zügen oder übervollen und im Winter eiskalten Bussen hatten, aber die Parkmöglichkeiten bei Anreise im Pkw lassen sehr zu wünschen übrig. So war ich doch sehr froh, daß mir eine gute Bekannte, Liesel Bergmann geb. Cordes – auch ehemalige Wilhelm-Raabe-Schülerin – anbot, vom 27. auf den 28.10. bei ihr zu übernachten und mein Auto bei ihr abzustellen. Vom Hopfengarten aus nahmen wir ein Taxi zum Seminaris am Kurpark und trafen pünktlich um 18.00 Uhr dort ein.
Da wir alle unsere Anmeldungen zu diesem Treffen rechtzeitig abgeschickt hatten, konnten die Tische für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der einzelnen Jahrgänge vorher reserviert werden. Sie waren von der Hotelleitung wunderschön eingedeckt worden: Porzellan, blinkende Gläser und Bestecke und überall frische Blumen. Schnell füllte sich der Festsaal. Überall standen Grüppchen zusammen, Köpfe wurden zusammengesteckt, man hörte Rufe, fröhliche Begrüßungen und Gelächter. Auch an den beiden reservierten Tischen meines Jahrgangs fanden sich so langsam alle ehemaligen Mitschülerinnen ein, die auch sonst immer an Ausflügen und Veranstaltungen des Bundes der Ehemaligen teilnehmen. Aber dann erschien ein neues Gesicht in der Eingangstür zum Festsaal: Elisabeth „Leo“ Scharff, verheiratete Tillmans, die ich persönlich über 45 Jahre lang nicht gesehen habe. Das war eine Freude! Jeder von uns versuchte, Leo ein Weilchen für sich zu haben. Sie war unsere langjährige Klassensprecherin, ruhig, gelassen und immer mit einem offenen Ohr für die Sorgen und Nöte ihrer Mitschülerinnen. Und sie fand vor allem auch stets Gehör bei den Lehrern. So wie an unseren beiden Tischen wird es sicher auch an allen anderen zugegangen sein, denn zu solch einer großen Jubiläumsfeier reisen auch ehemalige Schülerinnen an, die es in alle Ecken Deutschlands oder sogar ins Ausland verschlagen hat. Leo zum Beispiel wohnt schon jahrzehntelang in Remscheid. Doch wir mußten erst einmal all unsere Gespräche unterbrechen, da die 1. Vorsitzende des Bundes der Ehemaligen, Frau Dr. Luise Reinhardt-Drischler, das Podium betrat und in ihrer ungezwungenen Art alle weiblichen und auch die wenigen männlichen Gäste begrüßte und sich für die zahlreiche Teilnahme bedankte.
Sie gab noch einmal einen kurzen Überblick über den Ablauf des vorangegangenen Freitags mit der Einweihung des Balkons, dessen Renovierung vom Bund der Ehemaligen der Wilhelm-Raabe-Schule zum Geschenk gemacht wurde, aber auch über das von der Schule sowie den Schülerinnen und Schülern dem Bund der Ehemaligen ausgerichtete Schulfest in den Räumen der Wilhelm-Raabe-Schule. Dafür ging ein herzlicher Dank an die Schule.
Frau Dr. Luise Reinhardt-Drischler entschuldigte sich für die Panne mit dem ausgefallenen Mikrophon, aber wer regte sich schon bei diesem gelungenen Fest über solch eine Kleinigkeit auf. Noch ein Mißgeschick mußte sie beichten: Die Festschrift, die jedem Teilnehmer des Abends ausgehändigt werden sollte, war in der Druckerei nicht rechtzeitig fertiggestellt worden. Aber auch diese Nachricht verkrafteten alle gut. Sie wird den Teilnehmern an diesem Jubiläumstreffen so schnell wie möglich zugeschickt werden. Frau Dr. Reinhardt-Drischler berichtete auch noch kurz über den an diesem Vormittag stattgefundenen Festakt in der Aula der Wilhelm-Raabe-Schule. Sie dankte den Vorstands- und Beiratsmitgliedern und allen freiwilligen Helferinnen und Helfern für ihre tatkräftige Unterstützung und würdigte besonders das Engagement der Beiratsmitglieder, die sich beim Lüneburger Rotspon von ihren Anstrengungen erholen sollten.
Frau Dr. Reinhardt-Drischler wurde auf dem Podium von der Direktorin der Wilhelm-Raabe-Schule, Frau Dr. Barbara Scheuermann, abgelöst. Sie bedankte sich noch einmal mit warmen Worten bei allen Mitgliedern des Bundes der Ehemaligen für das großzügige Geschenk an die Schule, die Renovierung des Balkons. Sie freute sich sehr, daß allen Teilnehmern das Schulfest am Freitag gefallen hatte.
Anschließend würdigte das Vorstandsmitglied Michael Dreher im Namen des Bundes der Ehemaligen Persönlichkeit und Leistungen der langjährigen Vorsitzenden Dr. Luise Reinhardt-Drischler, deren immenses Engagement Voraussetzung für die positive Entwicklung des Bundes in den letzten Jahren war, und überreichte ihr als Ausdruck der Dankbarkeit eine Orchidee.
Danach konnte nun endlich der Sturm auf das warme und kalte Büfett beginnen. Am besten machte man zuerst einen Rundgang und sah sich all die Köstlichkeiten an: Suppe, Kaßler im Brotteig, Schweinebraten mit Kartoffelplätzchen, Kartoffelgratin oder Salzkartoffeln, verschiedene Gemüsesorten, ein reichhaltiges Salatbüfett, Fischspezialitäten, verschiedene Brotsorten, Soßen, Dressings und als Nachtisch dann Rote Grütze mit Vanillesoße oder Buchweizentorte. Man konnte auf keinen Fall alles durchprobieren. Auch während des Essens gingen die Gespräche weiter, Bilder von der Familie wurden hervorgeholt und herumgezeigt. Endlich sahen wir auch einmal die Zwillingsenkelkinder unserer 1. Vorsitzenden, die wir nur aus Erzählungen und von Bildern kannten, in natura.
Aber alles Schöne geht einmal zu Ende. Gegen 24.00 Uhr leerte sich der Festsaal, und so will ich diesen Bericht mit einem Satz beenden, den Elisabeth „Leo“ Scharff im Verlauf des Abends sagte: „Selbst wenn man sich 45 Jahre lang nicht gesehen hat, ist die alte Vertrautheit zwischen ehemaligen Klassenkameradinnen gleich wieder da, eine Vertrautheit, die man später im Leben nur sehr selten bei einem anderen Menschen findet.“ So ist es auf unseren Festen, auf Ausflügen und Feiern: Man hat immer gleich „einen Draht“ zueinander.
Sigrid Behr geb. Tonn
Von weither, von Heidelberg, war ich gekommen, um am Jubiläum der „Ehemaligen“ teilzunehmen und auch, um mal wieder im schönen Lüneburg zu sein. Das wohlorganisierte Fest übertraf alle Erwartungen, hocherfreulich war besonders das Wiedererkennen vieler inzwischen betagter Ehemaliger.
Ein Höhepunkt der dreitägigen Veranstaltung war für mich der Besuch des Festgottesdienstes am Sonntag in der bis auf den letzten Platz besetzten schönen Nicolaikirche mit ihrer eindrucksvollen Höhe und reichen Ausstattung. Mein Mann und ich ergatterten einen Platz seitlich des Chores in der Nähe der Agierenden, was unsere festliche Stimmung in diesem Gottesdienst noch erhöhte. Eindrucksvoll war das hohe Niveau der vielen musikalischen Beiträge unter Leitung von Elisabeth Bahrdt und Regina Ewe, das frohe Miteinander der Schülerinnen, Schüler, Lehrer, Eltern und Ehemaligen und der musikalische Schwung der Instrumentalisten. Diese umrahmten eine fesselnde Dialogpredigt über das Thema „Die Bedeutung von Tradition“, gehalten von Frau Friedrichs und Frau Iwamoto.
Als alles vorbei war, wünschte ich mir, wieder Schülerin der Wilhelm-Raabe-Schule sein zu können!
Ingrid Schierwater
Verehrte Frau Dr. Reinhardt-Drischler, sehr geehrte Ehemalige der Wilhelm-Raabe-Schule, werte Festversammlung,
ich begrüße Sie alle sehr herzlich in der schönen Aula unserer schönen Wilhelm-Raabe-Schule. Zu feiern ist heute ein Jubiläum: 75 Jahre „Bund der Ehemaligen der Wilhelm-Raabe-Schule“. Dass dieses Jubiläum mit dem 170-jährigen Bestehen unserer Schule zusammenfällt, dürfte wohl eher ein zufälliges Zusammentreffen sein. Gleichwohl wird uns so nahegelegt, den Blick zurück in eine nähere und eine fernere Vergangenheit zu lenken. Gestatten Sie mir deshalb, meine Begrüßung mit einer Frage nach der Erinnerung zu verbinden. Diese Frage wird in einem Roman von Wilhelm Raabe gestellt – der übrigens im Jahr der Gründung unserer Schule geboren wurde! –; Raabe lässt seine Figur Eberhard Pfister mehrfach gedankenvoll fragen: „Wo bleiben alle die Bilder?“
In der 1884 erschienenen Erzählung „Pfisters Mühle“ erinnert sich dieser Eberhard Pfister, seines Zeichens Gymnasiallehrer in Berlin, an seine Jugend in der väterlichen Wassermühle und Schankwirtschaft in einem kleinen Ort nahe Braunschweig. Letzte sommerliche Ferientage dort verbringend, sinnt er über die Gründe nach, die zum Niedergang des väterlichen Betriebs führten. Der Standpunkt des sich erinnernden Ichs wird im Erzählen als zeitbedingt und in sich widersprüchlich ausgewiesen. Dennoch wird deutlich, dass der Autor Wilhelm Raabe die industrielle Umweltzerstörung, eine, wie es heißt, „von den größern Fragen der Zeit“, als bedrohlich wahrnimmt; sarkastisch formuliert er: „Deutschlands Ströme und Forellenbäche gegen Deutschlands Fäkal- und andere Stoffe“. Dabei setzt Raabe auch die Vergangenheitsperspektive – „Wo bleiben alle die Bilder?“ – in ihr Recht; sie ergänzt seinen kritischen Blick auf Lebensformen und Wertvorstellungen des ausgehenden l9. Jahrhunderts um einen wichtigen – Identität sichernden – Aspekt. Der Leser des von Raabe als „Sommerferienheft“ bezeichneten Textes, will er Gegenwart und Vergangenheit in Beziehung zueinander setzen, sieht sich aufgefordert, bestimmte Überlegungen und Andeutungen des Autors – durchaus auch handlungsorientiert, wie man heute wohl sagen würde – weiter oder zu Ende zu denken.
„Wo bleiben alle die Bilder?“ Unterschiedliche Bilder werden es sein, die Sie als Ehemalige in Ihrem Gedächtnis aufbewahrt haben. Manche der Bilder, die Vergangenheit festhalten, bleiben verschwommen, andere werden sich dem Gedächtnis sehr deutlich – identitätssichernd eingeschrieben haben. Einige Bilder werden vielleicht beim Blättern in alten Büchern oder Heften zurückkehren, andere hingegen im Gespräch, das auf die gemeinsame Erinnerung zielt. Wer sich erinnert, wird sich indessen auch der Frage stellen müssen, wie denn das Verhältnis zwischen dem Einst und dem Jetzt beschaffen sei – oder beschaffen sein sollte. In „Pfisters Mühle“ liefert Wilhelm Raabe dafür keine Lösung, der Roman endet nicht in planem Optimismus, dass die Zukunft schon alles richten werde. Das leitmotivische „Wo bleiben alle die Bilder“ verknüpft vielmehr konträre Wahrnehmungen der Vergangenheit mit der Leseanweisung, über ein verantwortungsbewusstes – auf die Zukunft gerichtetes – Handeln in der Gegenwart nachzudenken.
Sie als Ehemalige haben sich, Bilder des Vergangenen vor Augen, für ein solches verantwortungsbewusstes Handeln in der Gegenwart – „ab in die Zukunft“ – entschieden. Zwar erstreckt dieses sich weniger auf das von Wilhelm Raabe in „Pfisters Mühle“ problematisierte Verhältnis von Ökologie und Ökonomie – in diesem Punkt sollten sich, so denke ich, besonders unsere jetzigen Schülerinnen und Schüler angesprochen fühlen –, wohl aber auf das weite Feld der Gestaltung von Schule, auf dem immer wieder Begleitung, Zuspruch und finanzielle Unterstützung erforderlich sind. Das Kollegium, die Schülerschaft und die Elternschaft der Wilhelm-Raabe-Schule danken Ihnen sehr herzlich für Ihre stete Bereitschaft, unsere Schule zu unterstützen und zu stärken, fur die Großzügigkeit, mit der Sie manches Projekt begleitet und finanziell gesichert haben, und für das Interesse und die Teilnahme an den Belangen unseres traditionsreichen Gymnasiums.
In der Bibliothek der Wilhelm-Raabe-Schule stehen viele sehr wertvolle Bücher, manche Erstausgabe aus dem 19. Jahrhundert ist darunter, so auch das ehrwürdige Grimmsche Wörterbuch. Aus gegebenem Anlass schlage ich nach unter „Jubiläum“ und finde überraschend viele Stichwörter mit dem Grundwort „Jubel“, die uns alle durchaus betreffen – vom Jubelanfang gestern über das Jubelfeierkleid zum Jubelfeste, Jubelgesang und Jubelsprung. Auch die Jubelpredigt geht uns – morgen – etwas an; ob ein Jubelrausch uns erfassen möge, sei freilich dahingestellt – zumal wir mit dem Jubellehrer nicht mehr viel gemein haben, dem zu Zeiten der Brüder Grimm immerhin ein silberner Becher überreicht wurde. Hier und jetzt von Bedeutung ist aber gewiss das Stichwort „Jubelkönigin“, hat es doch, liebe Frau Reinhardt-Drischler, in dieser Runde und an diesem Tag vor allem den Sinn: deutlich zu machen, welcher persönliche Einsatz hinter dem für unsere Schule so wichtigen Engagement des „Bundes der Ehemaligen“ steht. Wenn er heute auf 75 Jahre des Bestehens zurücksieht, dann richtet sich unser Blick auf die Ära Reinhardt-Drischler, die inzwischen bereits achtzehn Jahren währt. Für Ihre weitere Arbeit zum Wohle des „Bundes“ und zum Wohle unserer, Ihrer Schule wünsche ich Ihnen, liebe Frau Reinhardt-Drischler, und allen jenen, die Sie in Ihrer Arbeit unterstützen, immer frohen Mut, gute Gesundheit und Ausdauer – und das Lob, den Dank und die Anerkennung, die Sie verdienen!
Ich freue mich sehr, Sie alle heute in dieser Ihrer alten Schule willkommen heißen zu dürfen; und ich freue mich, dass jetzige und ehemalige Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer in diesen Tagen hier zusammenkommen und die Gemeinschaft von Schule in einem ganz besonderen Sinne praktizieren und erleben. Ich wünsche dieser Veranstaltung und allen weiteren am heutigen und morgigen Jubeltag ein gutes Gelingen und Ihnen fernerhin – gute bleibende Bilder!
75 Jahre „Bund der Ehemaligen“ – die Wilhelm-Raabe-Schule gratuliert auf das herzlichste!
Liebe Luise!
Das 75-jährige Jubiläum soll nicht zu Ende gehen, ohne dass auch einige Worte von uns, dem Bund der Ehemaligen, an Dich gerichtet worden wären.
Seit nunmehr 18 Jahren bist Du Vorsitzende unseres Bundes, eine doch schon recht beachtliche Zeitspanne, mit der Du Dich ganz in die Tradition Deiner Vorgängerinnen Marie Ubbelohde und Ilse Cartellieri stellst. In dieser Zeit hast Du mit einem immensen Engagement und vielen Ideen den Bund erheblich vorangebracht. Erinnert sei nur an die Vielfalt unserer Veranstaltungen – von der Adventsfeier über das Weihnachtstreffen und die Jahresversammlung bis hin zu den Tagesfahrten –, durch die das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb unserer Gemeinschaft noch stärker wurde. Nicht zuletzt Deine Fähigkeit, auf andere Menschen freundlich und offen zuzugehen, trägt zu der familiären Atmosphäre auf unseren Veranstaltungen bei. Du bist bei all Deinen Aktivitäten nicht die abgehobene Vorsitzende, die unantastbar über allem schwebt, sondern Dir liegt sehr daran, in freundschaftlicher Zusammenarbeit mit anderen, in einem intensiven Gedankenaustausch Projekte für den Bund zu entwickeln. Dieser Geist prägt die Arbeit des Vorstands und des Beirats, ohne die unsere Jubiläumsfeier nicht hätte realisiert werden können, eine Feier, die ein gutes Beispiel für den Wert ehrenamtlicher Tätigkeit in unserer Zeit ist.
Als Dank für die von Dir in den vergangenen 18 Jahren geleistete Arbeit überreiche ich Dir im Namen des Bundes der Ehemaligen der Wilhelm-Raabe-Schule zu Lüneburg diese Orchidee. Mögen Dir für viele weitere Jahre Gesundheit und Tatkraft beschieden sein!
Lesung: Dtn. 5,12-15 (Sabbatgebot, Sklavenzeit in Ägypten)
Predigttext Mk 2,23-27 (Textlesung)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
Liebe Gemeinde und liebe Frau Friedrichs!
Vor einiger Zeit habe ich einmal meine Schüler in der 9. Klasse gefragt, ob es ihnen schon einmal passiert ist, dass sie nach einer Arbeit völlig k.o. waren. Ein Schüler erzählte folgendes: Vor ein paar Wochen musste ich Prospekte verteilen, das ist eigentlich nichts Besonderes, das mache ich jeden Samstag, um Geld zu verdienen. Neulich also war mein Freund krank, der den Nachbarbezirk mit Prospekten versorgen muss. Ich bin für ihn eingesprungen und habe in beiden Bezirken die Prospekte verteilt. Das waren 6 Stunden harte Arbeit. Hinterher war ich so k.o., dass ich nur noch ein Bad genommen habe und ins Bett gefallen bin.
Ich bat meine Schüler, sich einmal vorzustellen, sechs Tage hintereinander körperlich so hart zu arbeiten. Was, habe ich sie gefragt, würdet ihr am siebten Tag tun, wenn ihr den frei hättet? Sie waren sich schnell einig: Nichts wollten sie tun, am liebsten den ganzen Tag im Bett liegen, vielleicht noch im Sessel sitzen und Fernsehen gucken, aber bloß nicht irgendetwas tun, was auch nur entfernt an Arbeit erinnert.
Als die 10 Gebote entstanden, war es normal und selbstverständlich, dass die meisten Menschen körperlich hart arbeiteten, um überleben zu können, wer nur sechs Stunden zu arbeiten brauchte wie der Schüler mit den Prospekten, der hatte es gut, acht bis zwölf Stunden Feldarbeit waren die Regel, wenn man Sklave war eher mehr.
Im Judentum gab es zu dieser Zeit als der einzigen Religion einen wöchentlichen Feiertag, den Sabbat. Dass die Menschen an diesem einen Tag nicht zu arbeiten brauchten, war eine Wohltat. Das Gebot galt für alle Menschen, für Männer und Frauen, für Sklaven und Sklavinnen und sogar für das Vieh, wie wir eben in der Lesung aus dem Alten Testament gehört haben. Es war eine menschenfreundliche Tradition, am Sabbat nicht arbeiten zu müssen.
Jesus setzt in der Geschichte vom Ährenausraufen dieses Gebot außer Kraft. Die Pharisäer dagegen wollen, dass Jesus und seine Jünger das Gebot einhalten sollen. Die Pharisäer bestehen auf der Tradition, während Jesus sie in dieser Situation ablehnt. Die Pharisäer wollen nicht, dass die Jünger Jesu ernten, als solches fassen sie das Ausraufen der Ähren auf, während Jesus sich über die Tradition hinwegsetzt und die Jünger gewähren lässt. In den Augen der Pharisäer ist Jesus ein Radikaler, dem die Tradition nichts wert ist, der sie über den Haufen wirft, weil seine Jünger Hunger haben. Sie haben eben die jungen Leute in dem Anspiel gesehen. Sie haben die traditionellen Hochzeitskleider von sich geworfen wie Jesus die Tradition des Sabbatgebots von sich wirft. Die Pharisäer werden vielleicht gedacht haben „wie oberflächlich, wie kann man nur?“.
Jesus versucht, ihnen zu erklären, wieso er sich über die Tradition hinwegsetzt. Er misst die Tradition an einem Wert, der bei ihm über der Tradition steht. Jesus weiß, dass seine Jünger Hunger haben. Und wer Hunger hat, der soll etwas essen, insbesondere, wenn um ihn herum das Essen bereit steht. Es ist doch Menschenquälerei, wenn ich jemandem, der hungert, verbiete zuzugreifen, wenn um ihn herum Essen in Hülle und Fülle wächst. Jesus mag seine Jünger, deswegen handelt er so. Die Nächstenliebe ist für ihn wichtiger als das Gebot und die ganze Tradition. Die Situation der Jünger ist ja auch eine ganz andere als die, die ursprünglich zu dem Gebot geführt hat: Die Jünger haben nicht sechs Tage harter Arbeit hinter sich, sie sind mit Jesus in der Woche umhergezogen und haben seinen Reden zugehört. Jesus will uns also sagen, dass wir darauf achten sollen, ob die Tradition in der jeweiligen Situation menschenfreundlich wirkt, ob sie auf das Wohl der Menschen ausgerichtet ist.
Wir sind heute hier zusamrnengekommen, weil der Bund der Ehemaligen der Wilhelm-Raabe-Schule sein Jubiläum feiert. Dieser Bund kümmert sich um die Tradition der Schule. Frau Friedrichs, Sie gehören der Generation meiner Eltern an und Sie haben im 2. Weltkrieg die Wilhelm-Raabe-Schule besucht. Was halten Sie von der Tradition?
Es ist gut, Frau Iwamoto, dass Sie mir diese Frage stellen. Ich beantworte sie gern, weil ich Traditionen für etwas sehr Wichtiges halte.Wir sind umgeben von Traditionen und auch selbst eingebunden in Traditionen. Mensch sein hat immer auch etwas mit Tradition zu tun – in der eigenen Familie, in der Schule, in der Kirche und in der Gesellschaft. Am Anfang unseres Lebens wachsen wir in diese Traditionen hinein. Bis zu unserer Volljährigkeit haben wir wenig Möglichkeit, uns den Traditionen in der Familie, in der Schule, in der Kirche zu entziehen, zumindest geht das nicht ohne Konflikte. Erst vom Tag unserer Volljährigkeit ab haben wir die Freiheit der eigenen Entscheidung, die jeweilige Tradition, z. B. in der Familie, zu akzeptieren oder abzulehnen.
Die Schüler haben das in dem kleinen Anspiel deutlich gemacht: Ob die Sache mit der traditionellen Hochzeit eine gute Entscheidung ist – wer weiß? Ob das Gegenteil eine bessere Entscheidung ist – wer weiß?
Auf jeden Fall haben die beiden den Mut, die traditionelle Entscheidung in Frage zu stellen. Und dies In-Frage-Stellen der Tradition, wenn mir der sinnvolle Hintergrund nicht klar ist oder wenn ich ihn sogar ablehne, scheint mir etwas sehr Wichtiges zu sein und hängt mit meiner Ehrlichkeit vor mir selbst zusammen. Das wird ja sehr deutlich in der Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern: Eine Tradition einfach zu übernehmen, nur „weil das schon immer so war“, ist eines Menschen unwürdig. Jean Jaurès würde es „Asche bewahren“ nennen. In einem Zitat von ihm heißt es: „Tradition ist nicht Asche bewahren, sondern Feuer am Brennen halten!“
Nur ein Feuer, das am Brennen gehalten wird, „wärmt“, aber in „stürmischer Zeit“ ist das nicht leicht. An dieser Stelle tragen die Familien, die Schule, die Kirche und die Gesellschaft in gleicher Weise Verantwortung. In jedem dieser Bereiche müssen Erwachsene glaubhaft vermitteln, dass ihnen bestimmte Traditionen des Inhaltes wegen wichtig sind. Nur so kann verhindert werden, dass eine Tradition zu „Asche“ wird. Wenn Traditionen weit in die Vergangenheit zurückreichen, geht der eigentliche Sinn oft verloren, oder er verändert sich durch die Veränderung der Welt.
Der 11. September war ein Tag, an dem sich die Welt total verändert hat. Wird es trotz allem eine Veränderung zum Guten, zu mehr Menschlichkeit werden? Oder bleiben wir in unserem traditionellen Denken gefangen? –
Die Schülerinnen und Schüler der WRS (ab 1980 konnten auch Jungen das Abitur dort machen) hatten das Glück, eine Schule zu besuchen, deren geistige Tradition nicht nur in der Vermittlung von Werten bestand, sondern deren Lehrkräfte diese Werte auch lebten; denn sie waren aus den Wurzeln humanen Denkens gewachsen. Trotzdem geschah es, dass sich in der Zeit von 1933–1945 die Schulleitung und das Kollegium dem Druck der politischen Ver hältnisse beugen mussten auf Kosten der Tradition und der Humanität. Die Macht des Gesetzes einer inhumanen Diktatur verhinderte Humanität. (Es betraf einen Lehrer und einige Schülerinnen.)
Die meisten Traditionen wurzeln in der Vergangenheit; deshalb ist es so wichtig, sich der eigenen Wurzeln bewusst zu werden und über sie nachzudenken. Von der Tradition des Sabbats, um die es in unserem Predigttext geht, komme ich dabei auf den Christlichen Sonntag und dessen Tradition.
Frau Iwamoto, Sie sagten eben, dass Traditionen nur sinnvoll sind, wenn sie gut für den Menschen sind. „Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat“, so steht es in der Bibel, Mk 2,27. So ist es auch mit dem christlichen Sonntag: Ein Ruhetag in der Woche! Wie gut für uns, wenn wir dies Gebot ernst nehmen würden. Wir übernehmen uns, wenn wir es missachten. –
Niemand kann uns zwingen, an einem Gottesdienst teilzunehmen, das ist der Vorteil der Demokratie, aber es besteht die Gefahr, dass wir die Notwendigkeit für unser eigenes Leben nicht erkennen. Wir haben geistige Wurzeln, deren Bedürfnisse wir wahrnehmen müssen.
Der Sabbat und der Sonntag können eine wohltuende Tradition gegen die Oberflächlichkeit sein. Und gerade jetzt, in der Welt nach dem 11. September, brauchen wir dringend, was zur Tradition der Kirche gehört: Stille – Besinnung – Gebet – Glaube – Hoffnung – Liebe.
Aus dem christlich-humanen Geist der WRS hat sich im Lauf der Zeit, seit mehr als einem Jahrhundert die Tradition der Schule geformt. Durch wechselvolle Zeiten ist die Schule gegangen, bis ein paar Menschen die Idee hatten, die Bindung an die „Ehemaligen“ zu festigen. Diese Idee begeisterte, und Begeisterung gibt immer Kraft und Durchhaltevermögen. Deshalb ist es möglich, dass wir heute den 75. Geburtstag dieses „Bundes der Ehemaligen“ feiern und in diesem Gottesdienst festlich begehen.
Der am 10. November 1926 gegründete „Bund der Ehemaligen“ schlägt in enger Verbindung mit der Schule den Bogen von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft und ist so ein wunderbares Beispiel einer guten Tradition.
Vielen Dank, Frau Friedrichs, für Ihre Darstellung. Wir haben gesehen, dass die Tradition keineswegs in den vergangenen 75 Jahren immer die gleiche geblieben ist, und es wäre wohl auch schlirnrn, wenn das so wäre. Die Staatsform hat sich verändert, die Werte der Gesellschaft haben sich verändert, die Anforderungen an den einzelnen in unserer Gesellschaft haben sich verändert. Diese Veränderungen prägen uns Menschen, sie beeinflussen unser Miteinander, auch die Schule und auch die Kirche. Wir führen eine stets sich verändernde Tradition fort.
Wenn ich meinen Schülern mit dem Wort „Tradition“ komme, ernte ich zunächst einmal skeptische Blicke und Widerwillen. Tradition heißt Überlieferung, Überlieferung des Alten. Die Schüler fragen: Was kann am Alten schon gut sein? Diese Frage haben die jeweils jungen Leute wohl seit Beginn der menschlichen Kultur gestellt. In dem Anspiel der Schüler vorhin stellen die jungen Leute in der zweiten Szene die Frage, was denn Ehe und Hochzeit noch sollen. Die jeweils junge Generation überprüft kritisch die Tradition, in der sie erzogen wurde.
Es ist die Frage, welchen Maßstab die Kritiker anlegen? Jesus legte den Maßstab der Nächstenliebe an. D. h. er fragte, ob die Tradition menschenfreundlich und der jeweiligen Situation angepasst war. Wenn die Tradition unmenschlich war oder auf eine völlig andere Situation zugeschnitten, dann musste man die Tradition verändern, wie wir das am Beispiel mit dem Sabbatgebot gesehen haben. Der Maßstab der Nächstenliebe hat sich über die Jahrhunderte bewährt, weil er Lebensverhältnisse und Traditionen schafft, in denen sich die Menschen wohlfühlen und entfalten können. Ich denke, Lebensverhältnisse, in denen wir uns wohlfühlen und entfalten können, die möchten wir alle. Und was für uns selbst gilt, das muss dann auch für alle anderen gelten, gleichgültig, welcher Religion, welcher Rasse oder welcher Familie jemand entstammt. Wenn sich die jungen Menschen kritisch mit der Tradition auseinander gesetzt haben, wenn sie sie unter Umständen verändert haben, dann können sie die Tradition auch für sich übernehmen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen, es braucht oft Jahre und Jahrzehnte, bis man sich in einer Tradition heimisch fühlt. Bewusst wird einem das oft erst in Krisen oder wenn man in eine Umgebung gerät, die völlig anderen Traditionen folgt. Dann kann die eigene Tradition Identität und Sicherheit geben. Dann fühlt man sich besonders wohl in der vertrauten Umgebung mit den vertrauten Werten und Normen.
Daraus bezieht man Stärkung und Vergewisserung. So hörte ich vor kurzem von einer ehemaligen Schülerin, die in einem muslimischen Land lebt und mit Hingabe Weihnachten feiert. Die jungen Leute aus dem Anspiel werden noch ihr Verhältnis zur Ehe und zur Trauung finden müssen. Sie werden die Tradition kritisch prüfen und auch den Verzicht auf jegliche äußere Form. Das Ergebnis ist offen. Wir können froh und dankbar sein, dass immer wieder eine neue Generation nachwächst, die unsere Traditionen kritisch in Frage stellt. Am Maßstab der Menschenfreundlichkeit, oder wie Jesus sagt, der Nächstenliebe, sollte sie das Vorhandene prüfen, es gegebenenfalls verändern und selbst wieder weitergeben. So können wir darauf hoffen, in Verhältnissen zu leben, die uns Menschen zuträglich sind. Amen.
Maria Iwamoto, Ruth Friedrichs