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Ende einer Epoche –
Gedanken zum Tode von Friede Reiß aus Havelberg

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Mit dem Tode von Friede Reiß am 2. Mai 2011 endete eine Epoche in der Geschichte des Bundes der Ehemaligen der WRS: die Aktion „Weihnachtspäckchen für die Ehemaligen in der Ostzone, der SBZ, in Mitteldeutschland, in der sog. DDR, in der DDR, in den neuen Bundesländern“. Allein diese von mir gewählte Bezeichnung macht deutlich, wie viel dazu aus historisch-politischer Sicht zu sagen wäre. Wie schwer haben wir uns damit getan, das Wort „DDR“ zu benutzen, da wir an der nach der Präambel des Grundgesetzes gebotenen Verantwortung für unsere Landsleute festhielten, solange diese nicht in freier Selbstbestimmung entscheiden konnten, ob sie in einem eigenen Staat leben wollten. Die Angst vor der Anerkennung der DDR als selbständigen deutschen Staat und die Sorge vor der endgültigen Teilung unseres Vaterlandes ließen uns die Worte sorgsam wählen. Erst 1990 gab es freie Wahlen und die freie Entscheidung der Bürger für die Wiedervereinigung. Sicher ein Thema für den Politikunterricht, für den in den Mitteilungen des Bundes der Ehemaligen viel zu finden ist. Unbefriedigend ist die über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch gebrauchte Bezeichnung „neue Bundesländer“. Doch dies alles ist hier nicht Thema, sondern es geht nur um eine Aktion des Bundes der Ehemaligen, um die Verbindung mit den Mitgliedern, die nach 1945 nicht in den drei Westzonen, sondern in der Ostzone lebten, aufrecht zu erhalten und wirtschaftliche Not zu lindern.

Mitteilungen 1959, Seite 1 Mitteilungen 1959, RückseiteDiese Aktion begann schon kurz nach Kriegsende unter der Vorsitzenden Marie Ubbelohde und wurde unter der Vorsitzenden Ilse Cartellieri weitergeführt. In den Mitteilungsheften findet man immer wieder Informationen dazu, z.B. in den Jahresabrechnungen die Position „Ostzonenpäckchen“. In der Rubrik „Aus dem Bund“ wird darüber berichtet, dass am Bußtag wieder Päckchen gepackt wurden. 1953 waren es 53 Päckchen (Festschrift zur Feier des 100-jährigen
Bestehens der Wilhelm Raabe-Schule 1975, S. 98), 1958 aufgrund von Todesfällen nur noch 31 Päckchen (Mitteilungen 1959, S. 5). Als ich 1983 Vorsitzende wurde, erbte ich die Aktion von Frau Cartellieri, die sie mir sehr eindringlich ans Herz legte, was aber nicht erforderlich war, da sie meiner Einstellung voll entsprach. Nachdem Helga Reschke in den Vorstand eingetreten war, wurden die Päckchen bei ihr zuhause gepackt.

Bei dem Versand von Päckchen in die „DDR“ war viel zu bedenken, was wir seit der Wiedervereinigung längst vergessen haben. Die Jüngeren wissen es vermutlich gar nicht mehr. Nicht der Bund durfte diese Päckchen schicken, sondern nur Privatpersonen. Den Päckchen durfte kein Schriftverkehr beigefügt werden, nicht einmal eine Advents- oder Weihnachtskarte. Aber es musste ein detailliertes Inhaltsverzeichnis mit Mengenangaben, in dem auf keinen Fall Fehler enthalten sein durften, und die Versicherung „Geschenksendung – Keine Handelsware“ beigefügt werden. Als Absender fungierten jeweils einzelne Vorstandsmitglieder. Jeder von uns hatte seine drei bis vier „Ansprechpartnerinnen“, mit denen er die Korrespondenz führte. Daraus entstanden sehr herzliche Beziehungen – etwas, was sicher gar nicht im Interesse der „DDR“ war.

Mitteilungen 1990, Seite 31Mitteilungen 1990, Seite 32Eine meiner „Ansprechpartnerinnen“ war Friede Reiß, geb. Obenauf, Jg. 1916 aus Havelberg. Für mich war es ein großes Ereignis, als sie mich kurz vor der Wende in Lüneburg besuchte. Als Rentnerin durfte sie für begrenzte Zeit aus der DDR ausreisen. Sie besuchte in Lüneburg ihre Schulfreundin Marianne Gneist, geb. Brenning, Jg. 1917, die über ihren Besuch in Havelberg im Juni 1989 in den Mitteilungen berichtete (Mitteilungen 1990, S. 31). Friede Reiß wollte mich unbedingt kennenlernen. Es war für uns beide ein besonderes Erlebnis, dass wir jetzt ganz offen miteinander sprechen konnten. Wir hatten zwar eine umfangreiche Korrespondenz geführt, aber Inhalt und Wortwahl waren stets von der Sorge bestimmt, dass die Post geöffnet und die Päckchen nicht ankommen würden, falls etwas Kritisches in einem separat vorab gesandten Brief stehen würde. Wir haben uns gleich gut verstanden. Dass ich sie wenige Jahre später in Havelberg besuchen könnte, haben wir beide nicht für möglich gehalten. Erst recht war es völlig unvorstellbar, dass wir eines Tages vom Bund der Ehemaligen mit einem Bus nach Havelberg fahren würden. Dies geschah schon 1993 bei unserer ersten Tagesfahrt!

Mitteilungen 1990, Seite 2Mitteilungen 1990, Seite 50Gleich nach der Wende haben wir alle Päckchenempfängerinnen als Mitglieder in den Bund der Ehemaligen aufgenommen. Wir durften damals 9 neue Mitglieder begrüßen (Mitteilungen 1990, S. 2 und S. 31 f). Im Vorstand haben wir beschlossen, die Aktion weiterzuführen. Wir fanden es richtig, diesen älteren Mitgliedern weiterhin ein Weihnachtspäckchen zu schicken, denn einfach war die wirtschaftliche Situation für die Rentnerinnen nicht. Allerdings änderte sich die Zusammensetzung der Artikel, und die ganzen rechtlichen Vorschriften fielen weg. Wir konnten alles, auch einen Kalender oder ein Buch, in die Päckchen hineinlegen und Briefe oder eine Grußkarte zum Advent beifügen. Gleichwohl haben wir unseren zusätzlichen Schriftverkehr weitergeführt. Einige dieser neuen Mitglieder konnten noch nach Lüneburg kommen, z. B. war Irma Jarchow, geb. Fruhriep, aus Ludwigslust in der Roten Schleuse dabei. Doch mit den meisten blieb es aufgrund des hohen Alters bei einem herzlichen Schriftverkehr, häufig kamen die dankbaren Antwortbriefe von Angehörigen. Wir freuen uns, dass wir allen bis zum Tode das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln konnten.

Frau Reiß war die letzte aus dieser Gruppe. Über 20 Jahre haben wir uns persönlich gekannt. Da wir uns vom ersten Tag an so gut verstanden und durch die Vorbereitung unserer ersten Tagesfahrt der Kontakt so eng geworden war, zog es mich immer wieder – auch mit dem Fahrrad – nach Havelberg, da Frau Reiß aus Altersgründen nicht mehr nach Lüneburg kommen konnte. Jedesmal gingen wir zum Havelsteilufer zu einer malerisch gelegenen Bank und blickten bei langen Gesprächen in die wunderschöne weite Landschaft. Frau Reiß dachte gerne an ihre Schulzeit in Lüneburg zurück. Sie war glücklich und stolz, Mitglied in unserer Ehemaligenvereinigung zu sein.

Mitteilungen 1993, Seite 1Mitteilungen 1993, Seite 2Mitteilungen 1993, Seite 23Mitteilungen 1993, Seite 24Unvergessen ist sicher allen, die 1993 dabei waren, die Busfahrt nach Bad Wilsnack und Havelberg am 26.  Juni 1993, wo wir von Frau Reiß und ihren Freunden so gastfreundlich aufgenommen wurden und zum Abschluss noch eine Fahrt auf der Havel unternahmen. Da es kein Café gab, in dem wir alle Platz finden konnten, ging ein Teil unserer Gruppe zu den Bekannten von Friede Reiß zum Kaffeetrinken. Es war die erste Tagesfahrt, die unsere Vereinigung durchführte, weil die Entfernung nach Havelberg für eine Halbtagsfahrt, die wir bis dahin in jedem Jahr unternahmen, zu groß war. So wird der Name von Friede Reiß immer mit der Geschichte des Bundes der Ehemaligen verbunden sein.

Dokumentation, Seite 48Dokumentation, Seite 47Dokumentation, Seite 49Ich habe mit Friede Reiß eine gute Freundin verloren und bin darüber sehr traurig. Marianne Gneist, ihre Freundin, ist nur wenige Tage später am 22.  Mai 2011 verstorben. Anfang Mai hatte ich ihr im Domizil in Lüneburg noch ihr Mitteilungsheft gebracht. Kurz darauf rief sie mich an und informierte mich über eine Suchadresse – so genau hatte sie mit über 90 Jahren unsere Mitteilungen gelesen! Auch mit Marianne Gneist haben wir ein treues Mitglied verloren.

Bei unserer Sommerfahrt im August 2011 waren wir Havelberg ganz nahe. Wie oft war ich bei meinen Fahrten nach Havelberg mit dem Auto oder dem Fahrrad durch Werben gekommen. So haben sich zwei Kreise geschlossen: Die Schulfreundinnen Friede Reiß und Marianne Gneist starben nur wenige Tage nacheinander im Mai 2011. Und die 9. Tagesfahrt des Bundes der Ehemaligen führte uns 2011 ganz in die Nähe des Zieles seiner ersten Tagesfahrt 1993. Beim Bund der Ehemaligen endete 2011 ein Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch die innere Einheit unseres Landes ist noch nicht hergestellt. Wir versuchen, mit unserem Fahrtenprogramm dazu einen Beitrag zu leisten.

Dr. Luise Reinhardt-Drischler

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